Burghart Schmidt über Marco Szedenik

Burghart Schmidt

„Marco Szedenik  zu dem Globalisierenden des Regionalen im Regionalisierenden des Globalen“

Wie kommt ein Bildhauer dahin, unter anderem zur Malerei überzugehen? Szedenik verfolgt seit seinen bildhauerischen Studien bei Bruno Gironcoli das Weltthema, das er anfangs aufs Thema selbst isoliert in Angriff nahm. Das führte zu Skulpturen, die, mit Anklang an unsere kartographischen Erfahrungen, irgendwie vom Weltkugeligen her oder aus Schalen-/Sphärenstrukturen  Kosmisches anschaulich vorführen wollten. Doch indem daraus der Umschlag Positiv-Negativ aufging und dessen Dazwischen, tauchte auch der Gegenpol zum Kosmischen innerhalb des Weltthemas auf, das Regionale als das Nächste zum Fernsten des Kosmos, so folgerte Szedenik durch seine Arbeit.

           Denn überall produziert das Kosmische das Regionale, es besteht solchen Sinns durch seine Produktivität aus lauter Regionalität in der unendlichen Vielfalt der Regionalitäten. In der Tat hat ja die Astrologie in ihrem Grundansatz ganz Recht, noch das Kleinste hinge ab von dem Gesamtprozess des Kosmos, noch das Kleinste irgendwo unterliege den Auswirkungen der fernsten Fernen. Das Fragwürdige der Astrologie beginnt erst dort, wo sie vorgibt, den Vermittlungsprozess von fernsten Fernen zu den kleinsten Nähen erfasst und durchschaut zu haben, also sie könne die Folgen dieses Wirkungsprozesses zuverlässig beschreiben. Darin setzt ein Glaube an , den Szedenik nicht teilt, dem er nicht nacheilt. Ansonsten hat ja selbst der Aufklärer  Karl Marx davon gesprochen, der Kosmos sei der unorganische Leib des Menschen, wohl eine kleine Nachwehe seiner im übrigen äußerst kritischen Schellinglektüre.

             Zu solchen Verhältnissen vermögen die traditionellen Verfahren der Bildhauerei nur den einen Pol zu liefern, den der Nähe. Denn selbst Kugel-, Schalenkonstruktionen sind nur das Nächste zu den Fernen des Kosmos. Der andere Pol, der der Ferne, geht nur in den Rändern der bildhauerischen Bildwerke auf, wenn man sie als das Fraktale begreift, die Ränder. Dann stehen nämlich diese Ränder im Spannungsbogen des weltkonstituierenden Umschlags Positiv-Negativ, dem untergründigen Basisthema Szedeniks seit seinem Projekt Cocon schon in Studienzeiten. Man kann nämlich gemäß dem Sinn der Fraktalität aus den Abbruchkanten der Positive auf das abwesend Abgebrochene schließen wie umgekehrt, hätte man das Abgebrochene zur Hand, beziehungsweise zur Anschauung. Solches meinte Spinoza mit seiner zentralen Randbemerkung, man könne, wo man etwas definiert durch Alles, was es ist, es auch definieren durch Alles, was es nicht ist. Das täten die Menschen nur nicht, obwohl es so erst zu vollständiger Definition käme, weil sie dann im Definieren zu unendlich Unfassbarem verschlagen würden. 

            Wodurch die Spinoza-Überlegung nicht überholt ist, virtuell bleibt sie als postulative Leitidee gültig fürs Wesen des Denkens und Vorstellens. Denn sie funktioniert irgendwie, weil alle die Figuren abschließenden Linien, vorgestellt hin zu Flächen, zeit-raum-lose Dazwischen zwischen dem Einen und dem Anderen sind, in denen allein das Zusammensein existiert gemäß dem Modus eines flüchtig ewigen, ewig flüchtigen Jetzt. Um aber in solchem Spannungsbogen zwischen dem Nächsten und dem Fernsten bei der Zusammenkunft im Umschlagsort Positiv-Negativ auch den anderen Pol nicht nur negativ erschlossen ins Spiel zu bringen, muss Szedenik zu anderen Verfahren der Kunst übergehen.

              Zwar bleibt er mit seinen zu Positiv und Negativ gewendeten  Abgüssen noch im Dreidimensionalen des Bildhauerischen, aber gemeint ist ja jene Oberfläche zwischen Positiv und Negativ, die keinen Raum einnimmt, daher gleichermaßen aus der Zeit austritt, indem sie das Andere gegen gewichtige Materialität darbietet. Es ist gleichgültig, welche Abdruckmasse diese nach beiden Seiten gewandte Oberfläche trägt. Und diese Oberfläche ist in der Wendung nach beiden Seiten nicht nur ohne Raum und Zeit, sondern auch noch unabhängig von Innen und Außen, schüttelt also mehrere Bestimmungen des traditionell Bildhauerischen ab. Zudem in der Serie der Abdrücke geht es um das Repräsentieren hoch symbolisch geladener Architekturen oder Landschaftsstrukturen durch kleinste, aber wichtigste Details, die markieren, aber nur, wenn man auf sie aufmerksam wird. Sie werden allein zu charakterisierenden Zeichen der Identifizierbarkeit, durchaus im Sinn der Passrubrik: Besondere Merkmale, durch quasi-mikroskopischen Blick für das Schlüsselkleinste. Damit wechselt Szedenik ein in die viel höhere Beweglichkeit des Symbolisierens, Allegorisierens, Metaphorisierens, Metonymisierens und in die Künste des Pars pro toto, wie sie Malerei, Zeichnung und Photographie verstärkt gegenüber der traditionellen Bildhauerei bieten.

                Dieses gilt schon für die von photorealistischen Verfahren ausgehenden Landschaftsbilder, in denen Landschaftsregionen der Nähe und Vertrautheit den Weiten der Horizonte und des Himmels begegnen, von den Weiten der Horizonte und des Himmel erst hervorgebracht, indem sie in ihrer ausgepinselten Nähe zu den Weiten der Horizonte und Himmel die Öffnung schaffen. Denn Horizont als Übergang zum Kosmos und zu Landschaftsbecken wie Landschaftsschalen ist ihr Thema. Ansatz bei photorealistischen Verfahren findet sich auch in den Tierkopflandschaften und den Speiselandschaften. Wobei die Tierkopflandschaften montiert sind zu einem schwarzen, also nächtlichen wie kosmischen Himmel, angezeigt durch verschiedene Mondphasen, während die Speiselandschaften sich auf ihre unendlich verschiedenartigen Strukturen und Figuralitäten verlassen, um das Nächste mit dem Fernsten zusammenzubringen. Und sie verlassen sich auf das Metaphorische in dem Pflanzlichen, auch Tierischen, das sofort auf Besonnung, Besonnung bis  in die Meerestiefen verweist, also auf ein unabdingbares Wirkphänomen des Strahlungskosmos, für den dann solche Bilder ein Metonym werden. 

              Nun aber das Triptychon mitten unter solchen Bildausflügen. Einerseits verdankt es sich den angezeigten Verfahren und Motiven, andererseits betont es die Montage von Details der nächsten Nähe mit dem Aufriss ihrer zu den fernsten Fernen eines schwarzen Hintergrunds für das Kosmische, welcher schwarze Hintergrund über Two-Painting-Verfahren einem anderen Zusehen umschlägt zu einer Gesichtslandschaft, einem Menschenporträt, in das Monochrome schwach andeutend hineingearbeitet, dabei also neuerlich nächste Nähe der Vertrautheit meinend und sie doch in die bloß angedeutete Ungewissheit eines Unheimlichen schiebend. Der unterste Bereich der Seitentafeln zitiert in Montage zum photorealistisch Eingeblendeten eines schneebedeckt vergletscherten Alpenkammes Faltenwurf von Tuchbahn aus der Malereigeschichte, doch der Alpenkamm ist ja auch zitiert und der Faltenwurf der Tuchbahn erscheint wie Hochgebirge im Alpenglühen, auch eine Landschaft. Darüber eben die zu Menschengesicht changierende Schwärze, vor der Blumen- und Früchtemotive, nach photorealistischer Manier gemalt, im freien Fall  schweben, aber auch andere Motive. Die andere Seitentafel entspricht dem. 

               So muss man Blumen, Früchte, Ähren des freien Falls oder der freien Schwebe zu den Metaphern zählen. Die auf linker und auf rechter Tafel aber auftauchenden anderen Motive, wie die Yellow Submarine oder das Radioaktivitätszeichen oder rechts die Raumstation gehören zu den Allegorien, fast schon auf dem Weg zum Symbol. Symbol ist ohne Zweifel die Christusbüste, zitiert abgebildet wie eine Spielkarte. Soll da ein Frömmigkeitszeichen gesetzt werden im Gehorsam gegenüber der gewählten Gesamtform des Triptychons, das ja selber Frömmigkeitssymbol je und je sein sollte? Sehr zweifelhaft! Denn es handelt sich um den vom Kreuz wegfliegenden Jesus. Und da fühle ich mich erinnert an eine Karikatur des Siné Massacre, die den Jesus am Kreuz zeigt, wie er eine Hand davon abgenommen und über die Augen gelegt hat, um darunter hinabzuschauen auf den Fuß des Kreuzes, an dem ein Specht das Kreuz schon halb durchgehämmert hat, gleich kippt es. Das wäre Zerstörung des Erlösungswerks. Darum hat Massacres Jesus den Mund schreckensweit aufgerissen.  Solches würde auch zu einem vom Kreuz wegfliegenden Jesus gelten. Demnach stünde bei Szedenik Verfremden der Frömmigkeitssymbolik von Triptychon an.

               Und dem entspricht nun die Mitteltafel mit der Erdkugel in Bläue der Meere und Land wiederum in Schwärze vor schwarzem Hintergrund.  Wenn sich hinter der Erdkugel im unteren Drittel der Tafel ein Wolkenband querzieht, dann ist das jenes Landschaftselement aus dem Horizont heraus, dem auf den Seitentafeln die Montage von Alpenkamm mit Faltenwurf entspricht. Erdkugel vor Horizontalität schlechthin, das macht einmal die Horizontalität zu Zeithorizont, im anderen Zug sucht das, sich aus der christlichen Symbolik zu entfernen, ohne die Symbolik der Andacht dabei preiszugeben. Auf jeden Fall handelt es sich auf der Mitteltafel um Metonymie, die Erdkugel auf dem Hintergrund der Schwärze und dem Zeithorizont des Wolkenbands steht für das Kosmische. Das dem Metonymen verwandte pars pro toto (das Teil fürs Ganze) wurde ja schon von Szedenik eingesetzt bei den Positiv-Negativ-Abdrücken von repräsentativen Kleinstdetails aus Landschafts-Highlights.

                Die angezeigten Gesichtspunkte zusammen führen  ein ins Säkulare des Andächtigen . Ich fühle mich gemahnt, wenn ich auch die anderen Exponate um das Triptychon herum mitsehe gemahnt an eine epikuräische Christlichkeit bis in die Metaphysik des Epikur. Wobei das Christliche.für Szedenik offensichtlich allein einen atmosphärischen Hintergrund aus Traditionen meint, dem er sich stellt, von dem er sich aber nicht einlullen lässt  Schließlich handelt es sich nicht um eine surrealistische Traummontage oder vielmehr um nur die eine, in der freier Fall oder freies Schweben der Einzeldinge als Spiegelung des Kosmischen dem Träumenden auftaucht worin die Allegorie der Submarine der Beatles gleichsam das Darunterdurchtauchen wäre durch den freien Fall oder das freie Schweben. Und das eben lässt jenen kosmischen Regen in Epikurs Naturmetaphysik  assoziieren, der sich auch mit Marx als “der freie Fall der Atome“ ausdrücken mag, Ursprungszustand des Weltalls.                     

              Durch malerische Verfahren nun und durch die Struktur des Zitierens ist es Szedenik gelungen, zu Sachen seines Weltthemas auch den anderen Pol, den des Kosmischen mit in die Anschauungsspiele zu bringen und sie nicht nur fraktal in der folgernden Deutung aufscheinen zu lassen. Was er aber zwichen dem Nächsten und dem Fernsten aufreisst, weil er ja kein leichtfertiger Astrologe ist, das zeigt sich als ein Abgrund der Vermittlungsmöglichkeiten mit kaum einem Anhaltspunkt. Szedenik erzeugt die Situation des Labyrinths, das schließlich nicht keine Orientierbarkeit meint, sondern eine hoch erschwerte, weshalb man sehr genau vorgehen muss. Darum so sehr insistiert Szedenik auf der zentralen Wichtigkeit der kleinsten Details. Sie allein, wie im Labyrinth, lassen ein Hoffen angehen auf Orientierbarkeit. 

              Aber um darin jede Leichtfertigkeit etwa der Astrologie und Kaffesudguckerei zu verhindern, muss immer wieder von den Details aufgeschaut werden zum „gestirnten Himmel über uns“ (Kant). Das Sichkonzentrieren auf das Kleinstdetail ist keine Sache eines bornierenden Zusehens, das sich nicht umsehen will, sondern eines weitenden Zusehens durch Ersehen, Sehen also ohne Scheuklappen, ersehendes Zusehen. So auch gemeindet sich Essen und Trinken, Speise und Trank in das kosmische Orientieren ein, großer Stoffwechsel zwischen Mensch und allen Fernen des Kosmos. 

            Darin regt sich nochmals Epikuräismus, nun der praktische. Szedenik bleibt aber in Hinsicht auf das weltthematische Dazwischen bei dem großen Abgrund der noch vorliegenden Anschlußlosigkeiten, trotzdem die Hoffnung auf die spurenden Details. Beide sich scheinbar widersprechenden Momente vermitteln im Zusammenwirken jenes säkular Andächtige, in das einen Szedeniks Gesamtausstellung versetzt. Ich vergleiche das mit jenem mir ganz wichtigen Eindruck, den ich habe, wenn ich mir in der Nacht den Mond aus der Scheibe zur Kugel ersehe. Dann weicht der Himmel hinter ihn zurück, im leeren Raum schwebt die sinnlose Kugel. Die Folge dieses Eindrucks ist bei mir die Anschauung der Welt unter dem Gesichtspunkt ihrer vollständigen Sinnlosigkeit. Und doch, nun erwacht ein Schellingsatz in mir, nach dem im Menschen die Natur ihre Augen aufgeschlagen habe, um sich selbst anzuschauen. Darum geht es in meinem Verständnis Szedenik mit seiner künstlerischen Arbeit, mindestens zur Zeit.